Zu Beginn habe ich mal gesagt, dass wir alles daransetzen werden, im nächsten Jahr wieder als SUI-1 an den Start zu gehen. Dieses Ziel haben wir leider nicht erreicht. Trotzdem war das Gordon Bennett 2019 für die Headquarter-Crew in Turbenthal ein sehr erfolgreiches Gordon Bennett.
Gian-Marco, Helen und ich haben uns am vergangenen Freitag, dem 13. September, bereits am Morgen aufgemacht unser Wohnzimmer in ein Büro umzuwandeln. Wir richteten drei Arbeitsplätze ein, Helen plante die Nahrungsaufnahme der nächsten Tage und kaufte ein für das ganze Wochenende. Wir hatten bereits am Mittwoch-Abend und am Donnerstag mit den Piloten und mit Dani Gerstgrasser, unserem Meteoreologen, telefoniert. Es war bereits klar, dass das Rennen nach Westen losgehen würde und wir waren uns auch schon darüber einig, dass wir das markante Windband im Norden ansteuern würden und damit den Weg nach Osten anstreben. Der grundsätzliche Plan war also schon am Mittwoch gemacht.
Dani Gerstgrasser stiess am Starttag dann nachmittags zu uns und wir begannen das Fine-tuning unseres Plans. Am Abend kam dann noch Gian-Marcos Frau Corinne dazu und unsere Crew für das Wochenende war komplett. Zum ersten Mal seit ich in dieser Form dabei bin, hatten wir niemanden mit Erfahrung in der Luftverkehrskontrolle (ATC) dabei. Es wurde in den vergangenen Jahren immer schwieriger, Leute dafür zu motivieren, dass sie ihre Freizeit für dieses Unterfangen opfern. Durchaus verständlich, für uns aber etwas unangenehm, weil die Fluglotsen in den vergangenen Jahren ihre Aufgabe äusserst gewissenhaft und erfolgreich durchgeführt hatten. Schon nach kurzer Zeit hat sich herauskristallisiert, dass Corinne bestens für die Luftraumüberwachung geeignet war. Dank guter Software sind wir mittlerweile so ausgerüstet, dass wir die Lufträume und geplante Aktivitäten darin erkennen können. Es bedeutet aber durchaus etwas Aufwand, die Lufträume auf der geplanten Route des Ballons zu studieren und mögliche Probleme vorzeitig, bereits im Aufbau der Taktik, zu erkennen und allenfalls zu lösen. Dafür ist sowohl luftrechtliches wie auch ballonspezifisches Wissen nötig.
Danis Job als Meteorologe wurde durch die stabile Wetterlage etwas einfacher als auch schon. Einzig am Dienstag war auf den Modellen etwas Niederschlag in den Österreichischen Alpen vorhanden. Der wurde im Verlauf des Rennens aber reduziert und verschwand schlussendlich ganz. So konnte sich Dani darauf konzentrieren, unsere taktischen Ideen zu unterstützen oder zu verwerfen. Immer wieder konnte er mit seiner immensen Erfahrung – nicht nur bezüglich Wetter, sondern auch in Bezug auf Gordon-Bennett-Rennen – wertvollste Inputs zur Ausgestaltung der Route geben. Falls jemand darauf angewiesen ist, zu wissen, wie der Wind die Alpen umströmt, oder was passiert, wenn man mit dem Gasballon zwischen zwei Gipfeln in den Karpaten durchfährt, dann ist Dani der Mann, der die Fragen beantworten kann. Natürlich kann er auch sagen, was mit dem Seewind mittags an der Schwarzmeerküste passiert. Diese Infos sind aber nicht öffentlich zugänglich, die teilt er nur mit uns.
Während dem Füllvorgang am Nachmittag wurde der Ballon der spanischen Equipe übel beschädigt. Innert Kürze organisierte die eingeschworene Gasballon-Community Ersatz. Dieser musste aber aus Deutschland geliefert werden und es zeichnete sich schnell ab, dass dadurch der Start verzögert wurde. Nach einem anstrengenden Nachmittag an unseren Laptops genossen wir während dieser Verzögerung eine feine Pizza von Helen. Sie hat dafür gesorgt, dass wir während des Rennens mit gesunder und ungesunder Nahrung versorgt waren und hat auch dem einen oder anderen während einer Nachtschicht Gesellschaft geboten und mitgefiebert.
Den Start verfolgten wir per Youtube-Livestream. Regelmässig telefonierten wir mit den Piloten, justierten die letzten Details bezüglich Taktik, Kommunikation, Ballastberechnungen und vieles mehr. Als Kurt und Pascal dann in der Luft waren, studierten wir die anderen Ballone. Wer entschied sich für welche Taktik? Auf welcher Höhe waren die langsameren Winde? Wo ging es am meisten nach Norden? Das waren die Fragen, welche uns in den ersten Stunden beschäftigten. Relativ schnell kamen wir dann in einen guten Rhythmus. Immer wieder konnten zwei bis drei Personen schlafen, während dem zwei bis drei wach waren und den Luftraum, die Winde und die Ballone überwachten und Veränderungen an den Korb übermittelten. Dank moderner Technologie und Datenverbindung geht das 2019 bestens.
Da ich im letzten Jahr selber im Korb war, wurde Gian-Marco damals etwas ins kalte Wasser geworfen. Er lernte schnell, was es bedeutet, den beiden Piloten im Ballonkorb durchzugeben, dass eine Höhenveränderung zu einem potenziellen zukünftigen Erfolg führen kann. Die Unterstützung die er in diesem Jahr dadurch bieten konnte, war enorm. An dieser Stelle kann ich nicht allzu sehr in die Details eingehen, da diese Zeilen wohl auch von Leuten gelesen werden, denen ich unser Vorgehen nicht allzu präzise beschreiben möchte. Schliesslich möchten wir auch im nächsten Jahr zwei oder drei Details besser machen als die meisten anderen Teams.
Es gelang uns in der ersten Nacht den Ballon zu bremsen und nach Norden zu versetzen. Wir wollten möglichst nahe an die schnellen Winde, die wir dann vor allem am Montag erwarteten. Es war klar, dass es dafür viel Geduld brauchte und die brachten unsere beiden Piloten mit. Am Samstag ging es darum, unseren Ballon so zu platzieren, dass der Weg nach Osten möglichst schnell und frei von Hindernissen zurückgelegt werden konnte, bevor am Sonntag dann der prognostizierte Wind einsetzte und immer schneller wurde.
Besondere Freude bereitete uns die lange Führung von SUI-3 mit Walter Gschwendtner und Max Krebs, die den schnellen Weg mit dem Ostwind an die französische Westküste bevorzugten.
In Stuttgart konnten wir dem Luftraum nicht ganz ausweichen und mussten tiefer. Im ersten Moment ist so etwas für das Team zu Hause sehr frustrierend, da es eine Abweichung des vorgesehenen Zeitplans darstellt. Wir steckten das aber weg und zogen unsere Lehren daraus, was uns später problemlos an München, Wien, Bratislava (das liegt nahe an Ungarn aber nicht in Ungarn), Budapest und Bukarest vorbei brachte.
Auf der langen Reise nach Rumänien gab es immer wieder kleinere und grössere Komplikationen. Hauptsächlich waren das Abweichungen von unserem Plan, die unsere Piloten immer wieder korrigieren konnten. Die meisten Wettermodelle, mit denen wir unseren Weg planten, werden sechsstündlich publiziert. Nicht immer stimmten die neuen Modelle mit den vorherigen überein. Das führte meist zu etwas Nervosität und einer nötigen Anpassung der Planung. Schon relativ früh haben wir das Donaudelta bei Tulcea studiert. Es war klar, dass vom idealen Punkt aus der Ballon und die Piloten nur mit einem Boot geborgen werden konnten. Die ukrainische Grenze, welche nicht überquert werden durfte, war auch sehr nahe. Nach kurzer Diskussion mit dem Korb entschieden wir uns dafür, dass der für uns ideale Punkt nordöstlich von Warna in Bulgarien liegen würde.
Vor den Karpaten wurde der Wind dann etwas langsamer und die Konkurrenten holten von hinten her auf. Wir staunten nicht schlecht, als neben uns noch sechs weitere Ballone in die letzte Nacht gingen. Der ursprüngliche Zeitplan war mittlerweile so weit verzögert, dass zum Erreichen der Schwarzmeerküste eine Fahrt bis Dienstag-Mittag nötig wurde. Über den Bergen waren die Wettermodelle mal wieder eher von schlechter Qualität. Wir wurden etwas zu sehr nach Osten getrieben. Auch SUI-1 passierte das und sie mussten der Grenze zur Ukraine in grosser Höhe ausweichen. Kurt und Pascal gelang es, den Ballon wieder zurück auf Kurs zu bringen. Dank der frühzeitigen Überwachung der Lufträume war uns auch klar, dass am Dienstagmorgen ein Sperrgebiet die Weiterfahrt über 8000 Fuss Höhe erschweren würde. Das konnten wir in die Anfahrt zum Landeplatz mit einberechnen.
Als SUI-1 gelandet war, wussten wir, dass es im Süden nur noch um Silber gehen würde. Wir versorgten unsere Piloten mit den uns verfügbaren Infos über die vorherrschenden Winde an der Küste und sassen für die letzten Stunden gespannt vor den Bildschirmen. Es war klar, dass die nachfolgenden Ballone versuchen würden, ihren Korb bei der Landung etwas weiter weg vom Startplatz in Montbéliard zu platzieren. Also gab es nur eines: Das Icon von SUI-2 musste direkt am Meer aufhören sich zu bewegen.
Während Pascal ganz cool noch einen Blog-Beitrag hochladen konnte, machte Kurt in typischer Heissluft-Manier einen ersten Versuch zur Zielanfahrt. Der Ballon drehte wie gewünscht nach links ein. Beim zweiten Versuch nicht mehr ganz so wie beim ersten Mal, aber am Boden war auch dort der erwartete Wind vom Meer her. Also tat er, was in diesem Fall für ein optimales Resultat notwendig war. Er fuhr zur Zielanfahrt raus übers Meer. Das Nachfahrerteam mit Jris Frieden, Roli Schuler und Bruno Steiner war bereits vor Ort und konnte die Winde mit Heliumballonen sondieren. Als der kleine grüne Cursor die Küste nach Osten verliess, liefen bei uns die Telefone heiss. Wir erhielten besorgte Whatsapps und in den sozialen Medien wurde gefachsimpelt.
Unsere Arbeit war getan. Wir haben unseren Piloten die Infos geliefert, die sie benötigten, um an diesen Punkt zu kommen. Was jetzt folgte konnten wir nur passiv mit anschauen. Kurt sank aus über 1000 Metern ab, drehte zurück zur Küste und war genau an der 15 Meter hohen Klippe unten. Die beiden fingen das Sinken mittels Abwurf von Ballast ab und landeten sanft, beinahe am optimalen Punkt (ein Video davon gibt es am Ende des Beitrages, vermutlich ist das nur auf der Webseite zu sehen und nicht in den abonnierten Mails). Dank diesem Husarenstück des wohl aktuell besten Gasballonpiloten der Welt war uns klar, dass der Doppelsieg so gut wie Tatsache war. Trotzdem waren wir etwas überrascht, dass die Konkurrenten nicht einmal versuchten an die Küste zu kommen. Vielleicht hatten sie zu wenig Ballast um weiter zu fahren, vielleicht war ihnen auch einfach klar, dass die gesetzte Marke zu gut war um sie zu überbieten.
Die Anspannung der letzten fast 90 Stunden löste sich innert weniger Minuten. Nachdem uns noch so viele Teams auf den Fersen waren, konnten wir uns des Resultats bis zur Landung von FRA-1 nicht sicher sein. Wir waren überglücklich und freuten uns über die Silbermedaille und den Doppelsieg für die Schweiz. Laurent Sciboz und Nicolas Tièche haben in den vergangenen Jahren viel für den Gasballonsport in der Schweiz getan und wir wussten, dass es eine Frage der Zeit war, bis sie das Rennen für sich entscheiden würden.
Ich persönlich bin mit sehr hohen Erwartungen in dieses Rennen gestiegen. Nach den Siegen 2015 und 2016 und dem zweiten Platz 2017 war ich zum vierten Mal im Bodenteam von Kurt und Pascal dabei. Der Druck den ich mir durch die guten Platzierungen selber machte war nicht immer einfach zu ertragen. Auch Corinne, Helen, Gian-Marco und Dani haben davon in den intensiven 89 Stunden 38 Minuten und 24 Sekunden immer wieder etwas abbekommen. Sorry dafür und danke für euer Verständnis!
Es war mir eine Ehre dabei zu helfen, Kurt und Pascal auf dem Weg in den Osten möglichst gut zu unterstützen. Die Zusammenarbeit in unserem Team ist sensationell und verbessert sich jedes Jahr. Neben der grossen Anspannung hatten wir auch immer wieder viel zu lachen.
Besondere Erwähnung verdient noch die Leistung der Nachfahrer. Am Samstagabend waren sie noch bei uns in Turbenthal zum Raclette und am Dienstagmorgen haben sie SUI-2 im Nordosten Bulgariens eingewiesen. Was für eine Leistung!
Die grösste Leistung haben aber unsere Piloten vollbracht. Fast 90 Stunden lang haben sie auf engstem Raum miteinander verbracht und dabei den Ehrgeiz für ein gutes Resultat nicht verloren. Wenn wir zu Hause den Mut schon fast verloren hatten, haben die beiden Windschichten gefunden, die in keinem der Modelle vorhanden waren. Es ist kein Zufall, dass Kurt Frieden und Pascal Witprächtiger in den vergangenen Jahren das Gordon Bennett Rennen immer wieder in den vordersten Plätzen beenden konnten.
Am Samstag ist die Siegerehrung in Montbéliard und danach richtet sich für mich der Fokus auf den nächsten und letzten grossen Ballonevent in diesem Jahr: Die Europameisterschaft auf Mallorca, zu welcher wir am 14. Oktober aufbrechen werden.
Und 2021 heisst es dann wieder: Gordon-Bennett-Start in der Schweiz!